Ottokar von Kraft                  Lebensziel

 

Dem leeren Buch vergleich’ ich unser Leben,

Das wir mit Inhalt erst zu füllen haben;

Dem leeren Kelch, drein, soll sein Trank uns laben,

Wir gießen müssen selbst das Gold der Reben.

 

Nach hochgestecktem Ziele gilt’s zu streben,

Dafür zu opfern unsre besten Gaben;

Nur dieses macht uns übers Tier erhaben,

Vermag dem Dasein Wert und Zweck zu geben.

 

So winkt auch mir ein hohes Ziel im weiten,

Das ich zum Hafen meines Seins erwähle,

Zeitlebens sonder Wank ihm nachzuschreiten.

 

Auch weiß ich keinen Grund, daß ich’s verhehle:

Den Kranz des Dichters wünsch’ ich zu erstreiten,

Mich einzusingen in des Volkes Seele.

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Was ich dichte

 

Mir widerstrebt’s, auf reiner Dichtkunst Schwingen

Zu nie genoss’nen Freuden aufzuschweben;

Was ich besing’, ich mußt’ es stets erleben,

Und was ich selbst erlebt nur, mag ich singen.

 

Nur selten wird mir’s und im Zwang gelingen,

Aus ganz erdachter Lust ein Lied zu weben;

In meinem Glücksdurst ist mein höchstes Streben,

Die Dichtung all zur Wirklichkeit zu zwingen.

 

Drum nehmt für wahr und wirklich, was ich dichte,

Und nicht für selbsterheckte Traumgesichte,

Nehmt alles für Erlebnis, für Geschichte!

 

Was nützte mir die Kunst der ganzen Erde,

Sollt’ ich ein Leben fristen gleich der Herde

Und nicht gebieten jedem Wunsche: werde!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Dichtermoral

 

Das dünkt mich nicht der wahrhaft große Dichter,

Der zwar vom Schönen, wahren, Guten schreibt,

Doch selber weit zurück dahinter bleibt,

Gen andre streng, sich selbst ein milder Richter.

 

Das ist des eignen Worts und Werts Vernichter,

Der anders predigt, anders lebt und leibt,

Den einzig Eitelkeit zum Dichten treibt,

Nicht wahrer Kultus jener Himmelslichter.

 

Dem echten Dichter sei das höchste Streben,

Dem reinen Ideal, das er verkündet,

Nach besten Kräften treulich nachzuleben.

 

Auf ihn zunächst käm’s, den Beweis zu geben,

Daß seine Lehr’ auf Möglichkeit gegründet

Und nicht ein lustig eitles Wolkenweben.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Inhalt und Form

 

Der blose Inhalt macht noch kein Gedicht,

Um dessen Wert den Dichter man beneide;

Es gleicht dem Fürsten im Bedientenkleide,

Man kennt ihn nicht und sieht den armen Wicht.

 

Doch auch die bloße Form noch macht es nicht,

Wie groß auch sei des äußern Sinnes Weide;

Es gleicht dem Diener dann in Samt und Seide,

Er ist entlarvt, erwägt man, was er spricht.

 

Der bloße Inhalt ist der Wein, meim Mahle

In Tongefäßen dargereicht den Gästen;

Die bloße Form die edle, gold’ne Schale,

 

Mit wasser angefüllt bei trunk’nen Festen;

Der gold’ne Wein schmeckt nur im Goldpokale

Und schöner Geist in schöner Form am besten.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Geheimnis des Schaffens

 

Wie kommt es, daß, solang ich schaffe, dichte,

Mir, was ich hinschreib’, stets erbärmlich sheint,

Mein Urteil stets im Lauf der Arbeit meint,

Das schlecht mein Werk, das ich’s zuletzt vernichte?

 

Und wenn nach Stund’ und Tag ich drüber richte,

Wie kommt’s, daß nun mein Tadel wird verneint,

Daß alles sich zum Ganzen trefflich eint,

Daß ich’s nun seh’ in günstig mildem Lichte?

 

Ist’s, weil das Schlecht’ste, oft und oft gelesen,

Am Schlusse doch Gefallen weckt und Lust,

Zumal wir meist verliebt in unser Wesen?

 

Ist#s, weil, wer just der Muse Kuß empfindet,

Das Rechte ausführt blind und unbewußt

Und erst nachher das Urteil wieder findet?

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Des Dichters Priesteramt

 

Als Dichters Sendung gilt seit ält’ren Tagen:

Der Menschheit Jubeln und ihr ganzes weinen

Im tiefsten Herzen liebend zu vereinen,

Mit gleichem Anteil singend Lust und Klagen.

 

Doch mir indes will anders, muß ich sagen,

Hienied’ des Dichters Priesteramt erscheinen:

Er soll das Weh verwinden und verneinen,

Durch Licht zur Freude soll sein Lied uns tragen.

 

Der Dichter lebe mit dem Schmerz im Streite,

Sei Hort und Tröster zweifelndem Geschlechte,

Nicht mitsamt seiner weichen Jammers Beute.

 

Er schau’ die Sonne selbst in schwarzer Wolke,

Und, ausgestreckt nach ihr die Priesterrechte,

Weis’ er den Weg des Lichtes seinem Volke!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Auf meine Studierlampe

 

Du trautes Licht, das mir so manche nächte

In hellen Tag zu wandeln warst beflissen,

Das mir geleuchtet auf dem Pfad zum Wissen,

Mir Fackel warst in tiefste Geistesschächte;

 

Verkannter Stern geheimer Himmelsmächte,

Oft einzig Licht in Daseins Finsternissen,

Dein Lob zu singen treibt mich das Gewissen,

Denn auf mein Schaffen hegst du Helfersrechte.

 

O möcht’st du doch, das mir so oft geschienen

Beim Dichtersang in gottberauschten Stunden,

In ihm als Geisteslicht der Welt einst dienen,

 

Und du, o Lampe, noch in spät’sten Tagen,

Wann längst mein irdisch Teil hinweggeschwunden,

Ein Leuchtturm hoch in fernste Weiten ragen!

 

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Subjektivität

 

Ihr tadelt mich mit kritisch finstern Mienen,

Daß meine Muse zu persönlich sei,

Daß ich zu gern mein eigen Konterfei,

Mich selber male mit dem Fleiß der Bienen.

 

In unsrem trock’nen Zeitraum der Maschinen,

Der Gleichheit aller – aller Sklaverei,

Gilts doppelt hoch, zu bleiben selbst und frei,

Statt nur als Rad im Räderwerk zu dienen.

 

Auch wahrlich fänd’ ich keinen Zweck im Leben,

Wär’s nicht des Einzelwesens Seinsentfaltng,

Des Menschen höchstes Ziel im Weltenweben.

 

Der Künstler vollends kennt kein andres Streben,

Als in gewaltig hoher Ich-Gestaltung

Sein selbstgemaltes Bild der Welt zu geben.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Klärung

 

Der Seichten spott’ ich, die nur rufen: Klärung!

In diese Ford’rung jedes Urteil zwängen;

Die jedes höh’re Stürmen, Jauchzen, Drängen

Nur unreif schelten, Jugendwahns Gewährung.

 

Von Klärung sprich, wer selbst gefühlt erst Gärung!

Allein was ist die blinden, stumpfen Mengen?

Begeist’rung, Liebe auf den Nagel hängen

Und leben hübsch der Pflicht und der Ernährung!

 

So nimmt’s die Masse! Soll ich so mich klären?

Nein, lieber ewig soll’s da drinnen gären,

Und ewig mög’ ich bleiben, der ich bin!

 

Wenn ich durch Kläung andres nicht erreiche,

Als daß ich jenen, die sie raten, gleiche:

Ist Klärung ein Verlust und kein Gewinn!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Geständnis

 

Gestehn wir uns: uns läßt der Geist im Stiche,

Die deutsche Dichtkunst liegt gebannt im Schlummer,

Verurteilt wär’ zum kläglichsten Verstummer,

Wer heut’ den größten deutschen Sängern gliche.

 

Heut’ führen bloß Reklam’ und nied’re Schliche

Zu Ruhm empor, Genie zu Qual und Kummer,

Talent besiegt ein Kranker oder Dummer,

Der statt Gedanken bringt – Gedankenstriche.

 

O deutsche Dichtkunst, schlummernde Walküre,

Wo weilt dein Siegfried, der dich weckt, der Frohe?

O dürft’ ich selbst mich deinen Wecker nennen!

 

Nicht ziemt mir dies – Allein. bei Gott! ich spüre

Zu meinen Füßen längst die Waberlohe

Wildwütend mir um Leib und seele brennen.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Dichtertrost

 

Seh’ ich im Volk, für das ich denk’ und dichte,

Mich unbekannt, wie seiner Kleinsten einen,

Genannt viel schlechtre Namen, nur nicht meinen,

Für mich verrichtet nur, was ich verrichte;

 

Seh’ ich, wie Plan um Plan mir wird zunichte,

Als der ich bin dem Volke zu erscheinen,

Verlag und Zeitung offen allem Kleinen,

Nur echtem Korn verschlossen und Gewichte;

 

Und sag’ ich mir zum Trost: heut’ oder morgen,

Nach zehn, nach zwanzig, fünfzig, hundert Jahren

Muß meine Art sich sieghaft offenbaren:

 

Ade dann Schmerzen, Ärger, Kummer, Sorgen!

Mich hat, liegt solch ein Ausblick vor mir offen,

Der Menschenlose größtes doch getroffen!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Stolzes Gebet

 

Wie den Kometen auf der Weltenreise

Gewalt’ge Sonnen ziehn von seinem Gange,

Daß er, gehorchend fremder Riesen Zwange,

Oft unfrei ändert seine ew’gen Kreise:

 

So lenkt auch mich in meiner Sangesweise

Bald der, bald jener Stern vom ersten Range,

Er zieht mich an mit übermächt’gem Drange,

Und schwankend werden meiner Richtung Gleise.

 

Der Du die Geister lenkst und die Kometen,

Schreib’ eigne Ziele mir auf meine Fahnen,

Laß nicht Vasalln mich werden der Poeten!

 

Gib mir die Stärke jener großen Ahnen,

Daß ich, ob einsam auch und unbetreten,

Stets kraftvoll wandle selbsterschloss’ne Bahnen!

 

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Das fünfte Buch

 

Das fünfte Buch! Und ganz noch unbekannt!

So fremd der Welt, wie vor den ersten Zeilen!

Bewahrt vor Lob und vor des Tadels Pfeilen,

Leb’ ich verschollen, einsam, ungenannt.

 

Das fünfte Buch! Und so wird Band um Band

Nachfolgen noch, indes die Jahre eilen,

Und jeder wird des ersten Schicksal teilen,

Verschwinden spurlos, hingeweht im Sand.

 

Warum ich da noch schaffe, wirke, dichte?

Ist doch zu alt der Fall in der Geschichte,

Als daß ich nicht das Ende absehn sollte:

 

Den alten Kehrreim von den späten Kränzen,

Die auf den Schädeln toter Menschen glänzen,

Von denen nichts die Mitwelt wissen wollte.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Sonett auf dem Kopfe

 

Ich habe nachgedacht, wie es beginnen,

Dem Publikum von heute zu gefallen

Und Leser und Kritik mir zu gewinnen.

 

Und da man heute spurlos hört verhallen,

Was du nach großen Mustern magst ersinnen,

Die selbst dem Spott des Zeitengeists verfallen;

 

Und da den Ruhm heut’ keiner faßt beim Schopfe,

Der altes Garn rollt um der Dichtkunst Spule,

Und da nur groß heißt vor des Alltags Pfuhle,

Wer stets nur Neues braut im alten Topfe,

 

Und nach Verkehrtem sitzt die Sucht am Stuhle

Der heut’gen Zeit, und wär’s vom dümmsten Tropfe:

So schrieb ich dies Sonett hier auf dem Kopfe;

Schlägt alles fehl, macht  d a s   vielleicht noch Schule!